Donnerstag, 16. Dezember 2010

Ob euch das Folgende wirklich interessiert, kann ich nicht einschaetzen - einen Eindruck von meinem (abgesehen davon recht wenig aktiven) Alltag vermittelt es aber:
Seit ein paar Wochen haben Steffi und ich der ziemlich ausgelasteten Kerstin den Deutschunterricht abgenommen, nachdem wir sie vorher schon gelegentlich vertreten hatten. So kommt es, dass ich nun einmal woechentlich 1 1/2 Stunden unterrichte.

Das hat viele Vorteile: Ich kann etwas gegen das staendige Gefuehl, unausgelastet zu sein, unternehmen, ich erfahre, wie wenig ich bisher ueber meine eigene Sprache und deren Anwendung nachgedacht habe (obwohl ich mir doch schmeichle, diese Anwendung gut zu beherrschen), ich lerne etwas ueber das Lehrerdasein als solches und - last but not least - ist die einzige Moeglickeit, das regelmaessige Stattfinden eines Kurses zu garantieren, diesen selbst zu unterrichten.

Als ich das erste Mal ganz allein unterrichtet habe, war ich nach einer knappen Stunde Unterricht voellig fertig und konnte zumindest einige altbekannte Lehrerklagen besser nachvollziehen als vorher. Es ist auch wirklich anstrengend, wenn man Reihe eins unaufhoerlich mit Grammatik plagen muss, die diese laengst begriffen hat, weil Reihe zwei und drei nach diversen Versuchen und Unterrichtsstunden immer noch keinen blassen Schimmer davon hat. Ebenso schwer ist es, auf Englisch einen Deutschkurs fuer eine Gruppe zu halten, die ganz unterschiedliche Muttersprachen spricht: Tamilisch, Malayalam, mehrere nordostindische Sprachen... Englisch - die Arbeitssprache, sprechen weder Lehrerin noch Kursteilnehmer perfekt und ich weiss genau, dass zumindest mein Englisch mit fortschreitender Muedigkeit schlechter wird...

Dann merke ich natuerlich auch oft, dass ich ganz selbstverstaendlich Dinge benutze, die auf den ersten Blick voellig logisch, auf den zweiten aber verwirrend und kompliziert sind: Wie erklaere ich zum Beispiel den Gebrauch von Zeitangaben. Natuerlich muss ich nicht lange ueberlegen, was gemeint ist, wenn jemand sagt: "Es ist zwanzig nach vier." Auch wenn er stattdessen 16:20 Uhr sagt, verwirrt mich das nicht. Aber wie erklaere ich jemandem aus Suedindien, dass bei einer Art Zeitangabe zuerst die Minuten und dann die Stunde angegeben wird, bei der anderen jedoch genau umgekehrt. Wie schaffe ich es, dass sie behalten, dass man zwar 20 nach 4 sagt, aber nicht 25 nach 4, sondern 5 vor halb, dass bei einer Weise von 24 Stunden gesprochen wird, bei der anderen von zweimal 12. Schliesslich sagen wir morgens und abends Viertel nach sieben, aber zwischen 7:15 Uhr und 19:15 Uhr besteht ein gewaltiger Unterschied.
Und dann die separablen Verben, die ich gleich unterrichten muss... warum sagt man bei "vorkommen" "ich komme vor", bei "hinterbringen" aber nicht "ich bringe hinter"??? Und dass, "ich umfahre den Baum" etwas ganz anderes ist, als "ich fahre den Baum um" - schwierig, schwierig...

Aber ich will gar nicht klagen! Es ist schoen, eine Herausforderung zu haben, es ist noch schoener, vom Kurs freundlich begruesst zu werden und um die gute Stimmung waehrend des Unterrichts wuerde mich sicher mancher Lehrer beneiden. Und wenn ich ueber den Campus gehe und ein Schueler mich mit "Guten Abend" begruesst und dabei sichtbar stolz auf sich ist, dann freue ich mich auch. Schliesslich weiss ich ja aus eigener Erfahrung, welche Ueberwindung es kostet auf einer gaenzlich fremden Sprache auch nur die einfachsten Saetze zu sagen (mein Tamil ist immer noch nicht berauschend) und wie erfreut ich bin, wenn auch nur ein Bruchteil von meinem Gestammel verstanden wird.

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Endlich wieder ein Lebenszeichen

Endlich wieder ein Lebenszeichen
Nun habt ihr wirklich lange nichts mehr von mir gehört… Erst war ich ein bisschen faul und dann musste das Internetcafe wegen Monsunschaden schließen. Mittlerweile ist es aber erfolgreich umgezogen, also kann es jetzt weitergehen.

So elegant kann man "Wir sind umgezogen" auch formulieren :-)

Um ehrlich zu sein, hat sich meine Schreibfaulheit auch daraus ergeben, dass sich nichts „weltbewegendes“ ereignet hat. Anfang November begannen wir auf den Start des Semesters und somit unserer Kurse zu warten. Damit waren wir zwei Wochen lang mehr oder weniger gut beschäftigt. Dann lief alles langsam, sehr langsam an. Viele Kurse fallen aber immer noch häufig aus, verschieden sich oder dauern weit kürzer als angekündigt. Es kann schon mal vorkommen, dass der Dozent (im geschilderten Fall der Principal) 10 Minuten nach Unterrichtsbeginn in den Raum stürzt „Sorry, sorry, I forgot I had classes“ (einige Wochen nach Semesterbeginn!) 15 Minuten unterrichtet, dann zu einer Sitzung muss und wieder verschwindet…
Manchmal bin ich  doch etwas frustriert über den Mangel an geistiger Nahrung…
Aber auch das kann man nicht allgemeinsetzen, denn wir machen durchaus interessante Erfahrungen. Die tatsächlich theologischen Kurse geben zwar nicht viel her, aber zwei Veranstaltungen im Center for Social Analysis (wie gut, dass es das gibt!) bieten doch ziemlich viel Denkstoff. Über diese beiden Kurse – Women’s Movement und Socio-Cultural Pattern – werde ich euch noch genauer berichten.
Obwohl ich noch längst nicht so viele Bekanntschaften gemacht habe, wie ich gerne möchte, gibt es doch zumindest einige Leute, die hier sehr wichtig geworden sind. Die möchte ich auch gerne näher beschreiben…
Sehr oft bin ich bei einer indischen Familie, die ich über Mathias Empfehlung kennen gelernt habe. Das Ehepaar Nyim und Bimol mit Sohn Manna und der entfernten Verwandten und Haushaltshilfe Mongsun. Nach kaum mehr als drei Besuchen erklärten sie mich zum Familienmitglied ? und ich kann kaum vorbeischauen, ohne Tee oder Süßigkeiten oder Nudeln, oder irgend etwas anderes zu bekommen. Mathias – falls du das liest – es war eine geniale Idee, ihnen Gummibärchen zu schicken, auch von denen habe ich natürlich etwas abbekommen ?.
Dann gibt es Rajasingh, ursprünglich aus Bangalore und im konservativen Madurai etwas unglücklich, der sich mit uns, insbesondere mit Steffi, angefreundet hat und eigentlich jeden Tag in unserem Hof zu finden ist, Dina (eigentlich Samuel Dinagaran), der nicht nur ein guter Trommler und Tänzer ist, sondern schon bei der Dialogue Exposure, aber auch hier auf dem Campus ein  sehr hilfreicher Freund ist, geduldigt zuhört und verbessert, wenn wir versuchen, tamilische Sätze zu radebrechen oder von unseren Eindrücken erzählen… von ihnen allen und noch einigen mehr werde ich euch noch ausführlicher beschreiben.
Die Regenzeit hat ihre eigenen Herausforderungen: Auf mein morgentliches Badmintonspiel mit Nyim, das ein wunderbarer Tagesstart war, muss seit ein paar Wochen verzichten muss, weil der (asphaltierte) Sportplatz überflutet ist und der Rest des Campus im Matsch versinkt. Jeden Abend vor dem Schlafengehen muss ich zunächst verirrte Frösche und Tausendfüßler in größerer Zahl aus meinem Zimmer entfernen. Letztere scheinen momentan Paarungszeit zu haben. Eine solche Paarung ist höchst bemerkenswert – dass sich so manches Wesen bei dieser Beschäftigung irgendwie stapelt ist ja bekannt, bisher habe ich aber von noch keinem Paar gehört, bei dem währenddessen noch ein Spaziergang stattfindet. Das ist schon höhere Kunst, bei dem sich der Untermann (oder die Unterfrau, oder wie auch immer) sich sichtlich abrackern muss. Einer trage des anderen Last…
So, jetzt unterlasse ich aber im Weiteren solch anstößige Texte ;-) …
Bei Sarah regnet es ganz furchtbar – leider auch innerhalb des Zimmers und der Schimmel verbreitet sich schneller, als man mit dem auswaschen hinterherkommt. Zumal wir das dazu nötige heiße Wasser ja nicht aus dem Hahn bekommen, sondern erst im Wasserkocher erhitzen müssen. Bis da genug zusammen ist, um z.B. einen Rucksack zu waschen, dauert es eine ganze Weile.
Hinzukommt, dass unsere Türen (die aus offenbar schon recht altem) Holz sind, sich durch die Feuchtigkeit derart verzogen haben, dass man Steffis Tür überhaupt nicht mehr schließen (oder gar abschließen) kann und ich genötigt bin, im wahrsten Sinne des Wortes mit der Tür ins Haus zu fallen, weil mein ganzes Körpergewicht nötig ist, um sie zu öffnen. Noch schwieriger ist es von innen – da muss ich mich an den Türgriff hängen und mich nach hinten fallen lassen. Jedes Mal befürchte ich wieder, dass ich den Griff herausziehen und mich ordentlich hinsetzen könnte. Schließen kann ich die Tür nur mit einem großen Knall, den gefühlt ganz Südindien hören kann…
Im Großen und Ganzen habe ich aber von uns Dreien am wenigsten monsunbedingte Unannehmlichkeiten zu ertragen, denn es regnet bei mir nur über der Tür rein, nicht aber über Bett und Regal (Da letzteres im Prinzip ein Vorsprung der Wand ist, kann man es nicht verschieben). Sarah hatte zeitweise alle unsere Teller im obersten Fach stehen, um das stetig tropfende Wasser aufzufangen.
Tja, Geschichten aus dem Leben… bald gibt’s mehr!!!